Technische Denkmale 1925 Handel Technik Februar 2005

Meisterwerk von Mendelsohn hat wieder eine Zukunft

Hüte unterm Hut

Im Jahr 1680 hatte Luckenwalde Glück: Die bis dahin recht verschlafene Marktsiedlung wurde brandenburgisch, und so konnte ihr der Große Kurfürst zu einer beachtlichen industriellen Entwicklung verhelfen. Er siedelte dort Zeugmacher und Strumpfwirker an und ermutigte Tuchmacher aus Thüringen, in Luckenwalde Werkstätten einzurichten. 1828 nahm die erste Dampfmaschine ihren Betrieb auf, und 1841 erhielt das Städtchen einen Anschluss an die Anhalter Bahn. Dreißig Jahre später hatte sich Luckenwalde vor allem einen Namen in der Herstellung von Hüten gemacht.

Modell der ehemaligen Hutfabrik Herrmann, Steinberg und Co. in Luckenwalde 
© Akademie der Künste, Berlin
Modell der ehemaligen Hutfabrik Herrmann, Steinberg und Co. in Luckenwalde

Als die Hutfabrikanten Salomon Herrmann, Gustav Herrmann, Felix Steinberg sowie Robert Steinberg senior und Robert Steinberg junior 1921 fusionierten, entschlossen sie sich zum Bau einer neuen, großen Fabrik in der Luckenwalder Industriestraße. Den Auftrag erhielt der damals noch recht unbekannte Architekt Erich Mendelsohn, der mit Gustav Herrmann befreundet war. Auf einer Grundfläche von 10.000 Quadratmetern entstanden von 1921 bis 1923 vier Produktionshallen, ein Kessel- und Turbinenhaus, eine Färbereihalle sowie zwei Torhäuser. Die Genialität Mendelsohns zeigte sich vor allem in der Konstruktion der Färbereihalle, deren schachtförmige Dachhaube eine moderne Entlüftung erhielt. Sie ähnelte einem Hut und wurde schließlich zum Markenzeichen von ganz Luckenwalde. Die Fabrik und ihr Baumeister wurden aber auch wegen der unterschiedlichen verbauten Materialien - Stahlbeton, Glas und Holz - von der Fachwelt bestaunt.

Erich Mendelsohn emigrierte 1933 nach London. Von dort ging er nach Jerusalem und siedelte schließlich 1941 in die Vereinigten Staaten von Amerika über, wo er einige spektakuläre Bauvorhaben realisierte und 1953 starb.

Der Fabrikant Gustav Herrmann verließ Deutschland mit seiner Familie ebenfalls 1933. Ein Jahr später wurde die Hutfabrik an die Norddeutsche Maschinenbau AG verkauft und das markante Dach der Färbereihalle abgerissen. Bis 1945 stellte man in den Hallen Flugzeugkanonen und Luftabwehrwaffen her. Nach dem Krieg reparierte die russische Armee dort ihre Panzer, und im Oktober 1957 nahm der VEB Wälzlagerwerk Luckenwalde seine Produktion auf. In das Kessel- und Turbinenhaus zogen Werkstätten und Büros ein.

Nach der Wiedervereinigung übernahm das Schweinfurter Unternehmen FAG Kugelfischer das Werk in Luckenwalde, musste es aber wegen hoher Verluste bereits 1992 wieder schließen. Danach stand die riesige Anlage leer.

Außenansicht der Produktionshallen 
© Akademie der Künste, Berlin
Außenansicht der Produktionshallen

Doch seit 2000 hat die Fabrik wieder eine Zukunft: Damals kaufte sie die Berliner Unternehmerfamilie Ayad. Sie möchte dort eine Sortieranlage für Textilien einrichten. Die Färbereihalle soll museal genutzt werden und irgendwann auch ihr markantes Hutdach zurückbekommen. Zur Zeit sucht man nach weiteren Nutzungsmöglichkeiten für die Fläche, wobei die Öffentlichkeit stärker einbezogen werden soll. Seit November 1999 kümmert sich außerdem der Förderverein Mendelsohn-Halle Luckenwalde um die Geschicke der Anlage.

Blick in eine der Produktionshallen 
© Akademie der Künste, Berlin
Blick in eine der Produktionshallen

2001 ließ Familie Ayad zunächst die Dächer der ehemaligen Produktionshallen sichern, um den Verfall aufzuhalten. An den Arbeiten beteiligte sich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Die Dächer, die eine Fläche von ca. 8.000 m² überdecken, wurden in den letzten Jahren saniert. Zur Zeit führt man umfangreiche Arbeiten an den Oberlichtern durch.

Außerdem ließen die Eigentümer eine Fläche von 300 m² in einem Hallenschiff originalgetreu herrichten. Dort konnte die Akademie der Künste am 14. September 2003 - pünktlich zum fünfzigsten Todestag von Erich Mendelsohn - eine Dauerausstellung eröffnen, die an den großen Architekten und die Geschichte der Fabrik erinnert. Neben dem Einsteinturm in Potsdam und dem Warenhaus Schocken in Chemnitz gehört die Hutfabrik zu den Meisterwerken Erich Mendelsohns. Sie gilt als Inkunabel der modernen Architektur und wurde inzwischen sogar in die Liste der Denkmale von nationalem Rang aufgenommen.

Carola Nathan

Weitere Informationen:

Ausstellung
"Erich Mendelsohn und die Hutfabrik in Luckenwalde", Industriestraße 2, 14943 Luckenwalde.

Luckenwalde liegt rund 50 Kilometer südlich von Berlin.

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